Tuberkulose-Impfstoff besteht Sicherheitstest


Der Impfstoffkandidat VPM1002 zeigt in einer Studie mit HIV- und nicht HIV-exponierten Neugeborenen seine Sicherheit

Stefan H.E. Kaufmann (rechts) führt Immunogenitätstests an menschlichen Proben durch. © Max-Planck-Gesellschaft

Keine andere Infektionskrankheit tötete bislang mehr Menschen als Tuberkulose. Derzeit ist nur ein einziger Impfstoff verfügbar, um schwere Verläufe zu verhindern: Bacillus Calmette Guérin (BCG). Er ist allerdings nicht gegen alle Tuberkulose-Arten gleich wirksam. Insbesondere bei Säuglingen und immungeschwächten Erkrankten besteht daher dringender Bedarf an effektiveren Tuberkulose-Impfstoffen. Eine klinische Studie in Südafrika hat nun gezeigt, dass der von Max-Planck-Forscher Stefan H.E. Kaufmann und seinem Team neu entwickelte Impfstoff-Kandidat VPM1002 bei Neugeborenen mit und ohne HIV-Exposition gleichermaßen sicher ist und im Vergleich zu BCG weniger Nebenwirkungen hat.

Mindestens 20 Millionen Menschen leiden laut Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit an Tuberkulose, jedes Jahr erkranken 10 Millionen Menschen neu und rund 1,5 Millionen sterben jährlich daran. Die Krankheit wird durch Mykobakterien ausgelöst, die überwiegend die Lunge, aber auch jedes andere Organ befallen können. Besonders in Ländern mit niedrigem Einkommen tritt die Tuberkulose häufig auf. Hier empfiehlt die WHO daher, Neugeborene so schnell wie möglich dagegen zu impfen.

Der erstmals vor 100 Jahren eingesetzte BCG-Impfstoff gegen die Krankheit enthält abgeschwächte Erreger der Rinder-Tuberkulose. „Wir wissen, dass BCG bei Säuglingen die sogenannte tuberkulöse Meningitis und die Miliartuberkulose mit einer Effektivität von 75 bis 86 Prozent verhindern kann. Für die häufigste Form der Krankheit, die Lungentuberkulose, gilt dies aber nicht, und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Hier wirkt BCG nur unzureichend“, erklärt Kaufmann, Emeritus-Direktor am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin.

Seit den 1990er-Jahren arbeitet der Infektionsbiologe mit seinem Team an einem verbesserten Impfstoff-Nachfolger, VPM1002 genannt. Dazu haben die Forschenden den abgeschwächten BCG-Impfstamm genetisch so verändert, dass Immunzellen die Erreger besser erkennen können. „Wir haben VPM1002 nicht zuletzt entwickelt, um für immungeschwächte Kinder eine höhere Sicherheit mit einer verbesserten Wirksamkeit zu kombinieren“, berichtet der Emeritus-Direktor.

Impfstoff-Kandidat VPM1002 sicher

Zur Gruppe immungeschwächter Kinder gehören zum Beispiel HIV-exponierte Säuglinge, die von HIV-positiven Müttern geboren wurden. In einer klinischen Studie in Südafrika verglich ein internationales Forschungskonsortium unter Beteiligung von Kaufmann VPM1002 mit BCG bei HIV-exponierten und nicht HIV-exponierten Neugeborenen. Die Studie untersuchte dabei sowohl die Sicherheit als auch die ausgelöste Immunantwort – Immunogenität genannt –, die mit dem Bilden von Immunzellen und immunstimulierenden Proteinen einhergeht. Das Fazit der Studie: VPM1002 ist sowohl bei HIV-exponierten als auch bei nicht HIV-exponierten Neugeborenen sicher, hat weniger Nebenwirkungen als BCG und löst eine ähnliche Immunantwort aus.

In der randomisierten Phase-II-Doppelblindstudie in Südafrika wurden 416 infrage kommende Neugeborene nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und vor dem zwölften Lebenstag geimpft. 312 von ihnen erhielten VPM1002, 104 den BCG-Impfstoff. Wie die Studie zeigte, löste VPM1002 weniger impfstoffbedingte Nebenwirkungen aus als BCG. Dies galt für auftretende Reaktionen an der Injektionsstelle wie Narben- und Abszess-Bildung ebenso wie für Vergrößerungen der Lymphknoten. Dieses Ergebnis sei wichtig, da lokale und regionale Reaktionen nach der Impfung zu den Einschränkungen des BCG-Impfstoffs gehören, wie Kaufmann betont.

Neugeborene mit oder ohne HIV-Exposition zeigten bei beiden Impfstoffen eine ähnliche Immunogenität. Ab einem Alter von sechs Wochen fiel die BCG-ausgelöste Immunreaktion jedoch größer aus als bei noch jüngeren Säuglingen.

Phase-III-Studie untersucht Schutz

„Studien wie hier beschrieben untersuchen zwar die Immunogenität, nicht aber den Schutz eines Impfstoffs. Dafür haben wir bereits eine größere klinische Phase-III-Studie entwickelt und konnten erfolgreich Mütter mit ihren Neugeborenen dafür gewinnen, jetzt läuft die Uhr“, so Kaufmann. Erste Ergebnisse, die zeigen, ob VPM1002 einen vergleichbaren oder besseren Schutz als die bestehenden BCG-Impfstoffe bieten kann, erwartet der Infektionsbiologe in rund drei Jahren. Zudem befindet sich der VPM1002-Impfstoff derzeit in zwei weiteren klinischen Phase-III-Studien, in denen erwachsene Proband*innen in Indien auf Schutz gegen Tuberkulose getestet werden. Diese Studien sollen 2023 beziehungsweise 2024 abgeschlossen werden.

Die Max-Planck-Gesellschaft hat die Lizenz für den Impfstoff VPM1002 im Jahr 2004 an das Unternehmen Vakzine Projekt Management (VPM) vergeben. Ab 2012 entwickelte die Firma den Impfstoff zusammen mit dem Serum Institute of India, einem der weltweit größten Impfstoffhersteller, weiter. „Das Serum Institute of India eröffnet einen Weg, die Tuberkulose auszumerzen, in dem es gleichermaßen auf Erkennen, Behandeln und Vorbeugen setzt. VPM1002 ist ein entscheidender Bestandteil dieser Strategie und wird helfen, Infektionen und Krankheiten zu verringern. Die derzeit laufende Phase-III-Studie ist eine der zentralen Studien, um unser wissenschaftliches Konzept zu stärken. Wir freuen uns, dass wir die Rekrutierung aller Neugeborenen dafür abgeschlossen haben“, so Umesh Shaligram, Executive Director R&D von Serum Institute of India.

An der Studie beteiligte Einrichtungen

Die Studie ist eine internationale Zusammenarbeit zwischen dem Serum Institute of India, Pune (Indien), dem Tygerberg Academic Hospital, Parow Valley (Südafrika), dem South African Medical Research Council, dem Department of Science / National Research Foundation (Südafrika), der University of the Witwatersrand, Johannesburg (Südafrika), der South African Tuberculosis Vaccine Initiative (SATVI), der University of Cape Town (Südafrika), dem Desmond Tutu TB Centre, Cape Town (Südafrika), der Stellenbosch University (Südafrika), EMMES Services Private Limited, Bengaluru (Indien), HJ Clinical Trial Consultancy, George (Südafrika), der Vakzine Projekt Management GmbH, Hannover, sowie der Texas A&M University (USA) und den MPI für Infektionsbiologie, Berlin, und für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (bis 1.1.2022: MPI für biophysikalische Chemie), Göttingen.

Über die Vakzine Projekt Management GmbH (VPM)

VPM wurde ursprünglich im August 2002 auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Förderung der Entwicklung von Impfstoffen in Deutschland gegründet. Gegenstand der Impfstoffinitiative war die Förderung des schnellen Transfers von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in die Entwicklung neuer Impfstoffe. Das BMBF hat VPM zwischen 2001 und 2010 25,6 Millionen Euro Fördermittel bereit-gestellt, um die präklinische und klinische Entwicklung von Impfstoffen bundesweit zu organisieren und durchzuführen. Zu diesem Zweck erwarb die VPM Eigentumsrechte an vielversprechenden Impfstoffkandidaten aus öffentlichen Forschungsreinrichtungen und leitete deren Entwicklung bis hin zur weiteren Lizenzierung an Industriepartner. Um solche vielversprechenden Impfstoffkandidaten in Deutschland zu identifizieren, wurde zu Beginn der BMBF-Förderung eine Impfstofflandkarte mit den dazugehörigen Technologien für Forschung und Entwicklung von Impfstoffen erstellt und diese 2006 aktualisiert.
www.vpm-consult.com

Über das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie

Infektionen gehören zu den bedeutendsten medizinischen Herausforderungen. Die Beziehungen zwischen Mikroben und ihren Wirten sind zudem wesentliche Triebkräfte der Evolution. Am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie suchen Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen nach Antworten auf grundlegende Fragen der Infektionsbiologie. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen, wie Viren, Bakterien, Parasiten, Pilze und Würmer Krankheiten verursachen und wie ihre Wirte darauf reagieren. Die Forschung umfasst verschiedene Ebenen: Atome, Moleküle, Zellen, Gewebe und Organismen sowie medizinische und soziale Aspekte.
www.mpiib-berlin.mpg.de

Über das Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Das Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften wurde am 1. Januar 2022 gegründet durch die Fusion zweier bereits bestehender Göttinger Institute, dem MPI für biophysikalische Chemie und dem MPI für Experimentelle Medizin. Die zwei Standorte der Institute blieben dabei als City-Campus und Faßberg-Campus bestehen. Am Institut erforschen wir wissenschaftliche Fragestellungen von Physik und Chemie über Struktur- und Zellbiologie bis hin zu Neurowissenschaften und biomedizinischer Forschung. Die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung kann sich so noch effektiver mit medizinischen Forschungsansätzen vernetzen Wir sind von der Überzeugung geleitet, dass sich große wissenschaftliche Entdeckungen dann erreichen lassen, wenn Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und Forschungskulturen – wie Physik, Chemie und Biologie – zusammenarbeiten und sich unvoreingenommen über Ideen austauschen. Nicht zuletzt aus diesem Grund gelangen an unserem Institut immer wieder wissenschaftliche Durchbrüche wie die Relaxationsmethoden, mit denen sich extrem schnelle Reaktionen messen lassen (Nobelpreis an Physikochemiker Manfred Eigen 1967), die Patch-Clamp-Methode zur Messung von Ionenströmen an Zellmembranen (Nobelpreis an Physiker Erwin Neher und Mediziner Bert Sakmann 1991), die Mikroskopie auf der Nanometerskala, die eine Auflösung bis zu wenigen Nanometern ermöglicht (Nobelpreis an Physiker Stefan W. Hell 2014) sowie die Kernspintomografie, die Kernspinresonanzspektroskopie, die optische Spektroskopie oder Computersimulationen.

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